Wahre Liebe findet ihren Weg von Birgit Pirker

Jaiden

Als sich die Jalousien wie jeden Morgen von selbst öffnen, ziehe ich mir die Decke über den Kopf. Frustriert schnaube ich auf – ich habe keine Lust, aufzustehen. Doch es hilft nichts, daher trete ich die Decke von meinem Bett und blicke auf. Mein Handy blinkt ohne Unterbrechung.

War klar, deswegen ignoriere ich es. Verdammt, was habe ich mir bloß dabei gedacht? Schwungvoll setze ich mich auf und fahre mir mit den Händen übers Gesicht. Ich habe mich zu etwas überreden lassen, das ich nicht wollte, und jetzt gibt es keinen Ausweg mehr. Langsam hebe ich meinen Kopf und blicke durch die riesige Glasfront auf Denver hinab. Da mein Telefon erneut läutet, riskiere ich einen kurzen Blick. Mein bester Freund Ben ruft an. Da sollte ich wohl abheben.

»He, bessere Hälfte, wie geht’s?«, fragt er fröhlich.

Seufzend reibe ich mir über die Augen. »Willst du eine ehrliche Antwort hören oder das, was jeder von mir erwartet?« Als es lange still ist, weiß ich, dass ich gar nicht weiterzusprechen brauche. Er weiß Bescheid.

»Oh nein. Sag mir, dass du es nicht getan hast!« Seine Stimme überschlägt sich fast. Er klingt zutiefst schockiert und sein schneller Atem am anderen Ende der Leitung ist deutlich zu hören.

Darüber bestürzt, dass ich mich breitschlagen habe lassen, antworte ich deprimiert: »Doch habe ich … leider.«

»Mensch, haben sie dich unter Drogen gesetzt?«, fragt er mit einem Entsetzen in der Stimme, dass ich fast lachen muss.

»Ben, wir sind seit fast sieben Jahren ein Paar. Sagen wir einmal so, es wurde mir nahegelegt.«

Jetzt ist es wieder still und ich höre Ben laut schreien, sodass ich mein Handy vom Ohr nehmen muss. Auch mit einem Meter Abstand zum Hörer kann ich seine Schimpftirade deutlich hören. »Sag mal, bist du nicht mehr ganz dicht? Du lässt dich zu einem Heiratsantrag zwingen? Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, Jaiden, oder?« Wenn ich doch nur eine andere Wahl gehabt hätte.

»Was hätte ich denn tun sollen? Es war an der Zeit, endlich eine Entscheidung zu treffen, und sie wurde mir abgenommen. Du weißt, dass eine Ehe zwischen Cora und mir seit unserer Jugend fest geplant ist. Ich hatte keine andere Wahl.«

Leise höre ich ihn seufzen. »Wir haben doch oft genug darüber gesprochen. Du liebst sie gar nicht.«

Oh ja, dieses Thema hatten wir bereits öfter, immerhin ist Ben mein bester Freund. »Ich liebe sie, Ben, aber nicht auf die Weise, wie ich es sollte, das weißt du.«

»Verdammt, wir sollten uns heute betrinken. Einen Grund haben wir schon. Wir treffen uns um sechs in unserem Stammlokal. Komm nicht wieder zu spät.« Ehe ich antworten kann, hat er bereits aufgelegt. Kopfschüttelnd lege ich mein Handy zur Seite und trotte ins angrenzende Bad.

Als ich mich im großen Spiegel, der sich über die halbe Wand erstreckt, betrachte, stelle ich mit Entsetzen fest, dass ich genauso aussehe, wie ich mich fühle — beschissen.

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Text von Birgit Pirker, Beitragsbild von Claudio Scot auf Pixabay