The Past Returns: Ein Auszug aus „My Secret Love II“
Die Furcht durchströmte mich wie eisiges Wasser, das sich seinen Weg in jede Ritze meiner Seele bahnte. Seine Präsenz war nicht nur ein Schatten in dieser engen Gondel – sie war ein schwerer Vorhang, der mich einhüllte, erstickte. Die Vergangenheit hatte mich eingeholt, ohne Vorwarnung, und plötzlich war nichts mehr sicher. Nicht der Boden unter meinen Füßen, nicht der Wind, nicht mein eigenes Herz.
In diesem flackernden Moment fühlte ich sie wieder, diese scharfen Kanten der Erinnerung, die ich so mühsam geglättet hatte. Schmerz, Trauer, Zorn – ein ganzes Archiv verdrängter Gefühle stürmte aus meinem Inneren hervor, unkontrollierbar wie das Unwetter draußen. Ich hörte seine Worte, zögerlich, reumütig. Worte, die mir sagen wollten: „Ich wollte dich nicht verletzen.“ Doch Worte sind Federn im Sturm, und was bleibt, ist das, was sie nie gesagt haben.
Zehn Jahre. Zehn Jahre Schweigen, Abgrenzung, Therapien, ein neues Leben. Ich hatte geglaubt, ich sei über das alles hinweg. Dass ich Frieden gefunden hatte, in meiner Familie, bei meinen Kindern, in mir selbst. Und nun – hier, in der Höhe, zwischen Himmel und Eis – trat er wieder in mein Leben. Mit einem Lächeln. Mit Entschuldigungen. Mit Geschichten über Reue und Wandlung.
Ich wollte nicht hinhören. Doch etwas in mir hörte zu.
Vielleicht war es dieser Moment des Eingeschlossenseins, der mich zwang, stehenzubleiben. Es gab kein Entrinnen, keinen Fluchtweg, kein hektisches Ablenken. Nur ihn, mich und das Toben der Elemente um uns. Vielleicht war es diese Ohnmacht, die mir den Mut gab, überhaupt hinzusehen.
Sein Blick war brennend und leer zugleich. Eine Mischung aus Reue und Hunger – nach Verständnis, nach Vergebung oder vielleicht nur nach Kontrolle. Ich wusste es nicht, und doch ließ ich ihn sprechen. Über seinen Absturz, über die Nacht in Rom, über das, was danach kam, über Zwang und Therapie, Schuld und Hoffnung. Ich lauschte, weil es nichts anderes gab und weil ich hören wollte, ob er sich verändert hatte – oder ob er nur gelernt hatte, besser zu manipulieren.
Er sprach. Ich schwieg und in mir kämpften zwei Stimmen: die der Erinnerung und die der Gegenwart.
Und dann geschah das Unausweichliche: der Sturm brach über uns herein. Nicht nur draußen, sondern auch in mir. Hagelkörner prasselten gegen das Fenster, bis es zersplitterte. Kälte riss in die Gondel, in mein Herz, in meine Klarheit. Ich schrie, er schrie, wir schrien und doch hörte uns niemand. Es war, als hätte die Welt uns vergessen.
In diesem Moment, mitten im Lärm, mitten im Schmerz, war da plötzlich etwas anderes. Keine Angst. Keine Wut. Sondern Leben. Ich spürte meine eigene Kraft. Meine eigenen Hände, wie sie Eissplitter hinauswarfen. Meine Stimme, die nicht verstummte. Mein Herz, das schneller schlug – nicht aus Panik, sondern weil es noch da war. Weil ich noch da war.
Und dann wurde es still.
Die Natur hatte genug geschrien. Nun hörten wir wieder uns selbst und ich spürte, wie sich etwas in mir verschob – nicht gegenüber ihm, sondern gegenüber mir. Ich war nicht mehr nur Opfer. Ich war nicht mehr nur Vergangenheit. Ich war jetzt. Hier. In diesem Moment und das allein war genug, um den nächsten Atemzug zu rechtfertigen.
Seine Worte klangen noch in meinen Ohren. Entschuldigungen. Bitten. Vielleicht sogar eine Sehnsucht nach Erlösung, aber es war nicht an mir, sie ihm zu schenken. Nicht jetzt. Vielleicht nie.
Ich sah ihn an und zum ersten Mal seit Langem erkannte ich den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl. Ich war nicht hier, um ihn zu erlösen. Ich war hier, um zu überleben.
Neben uns lagen drei Decken. Rau, kratzig – aber sie bedeuteten Hoffnung. Wärme. Vielleicht sogar Rettung. Ich wickelte mich ein. Nicht nur, um der Kälte zu entkommen, sondern um eine Grenze zu ziehen. Eine Linie zwischen mir und ihm, zwischen damals und heute, zwischen Schuld und Entscheidung.
Wir saßen nebeneinander. Keine Worte mehr. Nur Gedanken und irgendwo in der Dunkelheit dieser Höhe war da ein kleiner Lichtschein. Nicht am Himmel. Sondern in mir. Ein winziger Funke, der sagte: Du hast überlebt und du wirst es wieder tun.
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Text von Petra Kurz, Beitragsbild von Alessandra_Ceja auf Pixabay.

Petra Kurz
Schriftstellerin mit Leidenschaft für Romane, Thriller und Krimis. Thematischer Fokus: Kreativität, Individualität und die Einzigartigkeit jedes Menschen. Autorin von bislang vier veröffentlichten Büchern – ein weiteres in Vorbereitung.
Website:
www.petrakurz.at
Instagram:
@petra.kurz.autorin
© Petra Kurz (Foto)