Melodie der Herzen
Der dunkle Nachthimmel funkelte im Licht der Sterne. Sie waren wie kleine, helle Punkte über den Himmel gestreut. Perfekt für ein Date mit Lydia.
Ich stand vor dem Spiegel im Vorraum. Schon zum dritten Mal versuchte ich mir die schwarze Krawatte zu binden – bisher mit mäßigem Erfolg. Jedes Mal, wenn ich dachte, der Knoten würde endlich halten, löste er sich wieder und das Spiel begann von Neuem.
»Wenigstens bin ich beim Musizieren nicht ganz so ungeschickt«, sagte ich dem Spiegelbild grinsend. Es war komisch und irgendwie auch witzig: auf der einen Seite ein gefeierter Musiker, auf der anderen ein absolut talentfreier Bastler. Das Universum hatte wohl einen eigenwilligen Sinn für Humor.
Endlich. Der letzte Zug – geschafft. Als ich mir das ebenfalls schwarze Sakko über das weiße Hemd zog, vibrierte mein Handy. Eine Nachricht von ihr:
Bin schon da. Ich warte beim Wagen. Oder soll ich hochkommen?
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Allein der Gedanke, dass mein Mädchen schon unten wartete, ließ mein Herz schneller schlagen. Für welches elegante Outfit hatte sie sich heute wohl entschieden?
Rasch antwortete ich ihr, dass ich unterwegs sei, schlüpfte in meine Lederschuhe – sonst für Konzerte reserviert – oder Dates. Ein kurzer Blick in den Spiegel ließ mein Selbstbewusstsein wachsen.
»Nicht schlecht, mein Guter. Den Abend mit deinem Mädel hast du dir verdient.« Ich zwinkerte dem Spiegelbild zu, schnappte meine Sachen und machte mich auf den Weg nach unten.
Ein kühler Nachtwind begrüßte mich, begleitet von einem feinen Hauch Rosenblütenduft – ein Duft, der nur zu einer Person gehören konnte. Lydia lehnte lässig am silbernen Golf, ihr Haar zu einem kunstvollen Knoten gesteckt. Das smaragdgrüne Kleid umspielte ihre Figur, kleine Absätze blitzten unter dem Saum hervor.
»Na, seh ich gut aus?«, rief sie mir frech entgegen, als sie mich bemerkte. Sie strich sanft über den Stoff. Die blauen Augen funkelten im Licht der Laternen. »Passt das Kleid dem feinen Herrn?«
»Ein wenig mehr Glitzer und Lippenstift beim nächsten Date wäre nicht verkehrt – aber ich verzeih dir ausnahmsweise«, neckte ich. Lydia konnte Make-up nicht ausstehen. Und ehrlich – sie brauchte es auch nicht. Ich bewunderte sie dafür, wie sie zu sich selbst stand und sich nicht von Trends beeindrucken ließ.
Mit gespielter Empörung stemmte sie die Hände in die Hüften. »Bin ich dir etwa zu schlicht gekleidet, Herr Böhm?«
Ich trat näher, schlang die Arme um sie und zog sie an mich, bis sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten. Der Rosenduft wurde intensiver.
»Nein«, hauchte ich. »Es ist perfekt. Weil du es bist.«
Ich schloss die Augen und küsste ihre weichen Lippen. Nichts sonst existierte – nur dieser Moment.
Nach einer Weile lehnte sie sich zurück, blickte mir tief in die Augen. »Und? Wohin geht es heute, edler Ritter?«
»Das wirst du gleich sehen, holde Maid«, raunte ich und küsste sie zärtlich auf die Stirn. Dann öffnete ich mit einer einladenden Geste die Beifahrertür.
»Ein Gentleman lässt der Dame den Vortritt.«
»Wie reizend«, antwortete sie schmunzelnd, machte einen kleinen Knicks und stieg ein.
Kurz darauf fuhren wir los. An der Kreuzung Fischauer Gasse und Zehnergürtel hielt ich bei Rot. Ich nahm ihre Hand, sie lächelte.
Wie ihr das Date wohl gefallen wird? Doch darauf bekam ich an diesem Abend keine Antwort.
Die Ampel sprang auf Grün. Ich fuhr los. Mitten auf der Kreuzung geschah es.
Ein Auto raste von rechts heran. Bevor ich überhaupt reagieren konnte gab es einen gewaltiger Aufprall. Reifen quietschten, Glas splitterte. Der Wagen drehte sich wie ein Karussell. Der Airbag explodierte. Der weiße Ballon drückte gegen meine Brust.
Lydia.
Ich kämpfte darum die Augen zu öffnen. Etwas Warmes und Feuchtes klebte auf meinem Gesicht. Blut?
Der Wagen blieb endlich stehen.
Lydia.
Trotz der Schmerzen drehte ich mich langsam zur Seite. Mein Kopf hämmerte, mein Körper brannte, aber ich musste nach ihr sehen. Für sie.
Die Windschutzscheibe war zersprungen, die Türen verbogen. Der Beifahrersitz … eingedrückt. Schwarzes Haar, grünes Kleid – über und über mit dunklen Flecken bedeckt.
Blut. So viel Blut.
Panik jagte durch meine Adern. Ich tastete nach ihr, suchte einen Puls. Meine zitternde Hand spürte nichts … nichts! Doch ich ließ nicht locker, versuchte es erneut, immer wieder.
»Bitte… bitte!« Meine Stimme brach.
Dann – ganz schwach, kaum fühlbar – ein Puls.
Sie lebte. Noch.
»Du schaffst das, Lydia … bitte halt durch«, flüsterte ich.
In der Ferne hörte ich Sirenen, Schritte. Irgendjemand hatte Hilfe gerufen.
Die Welt wurde dunkler. Stimmen verloren sich. Nur noch ihr Name in meinem Kopf, bevor alles in Dunkelheit versank.
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Text von Sarah Helnwein, Beitragsbild von Jupi Lu auf Pixabay

Sarah Helnwein
Ich bin stolze 25 Jahre alt und habe das Schreiben für mich mit 12 Jahren entdeckt.
Ich schreibe Geschichten, um dir eine andere Welt fern ab von der Realität zu zeigen. Mal mehr Krimi, mal auch romantisch. Eine Priese Humor gehört natürlich auch dazu.
Instagram:
@sarahhelnwein_autorin
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