Deadline von Herta Krondorfer

Deadline

Bildschirme waren gefährlich. Besonders gefährlich fand er seinen eigenen. Seit zwei Tagen glotzte er zurück und zeigte nur das weiße Blatt seines Textverarbeitungsprogrammes. Kreative Arbeit hatte den Nachteil, dass sie sich oft am leeren Blatt verlor, ob das nun aus Nullen und Einsen auf einem Monitor kreiert wurde oder ob vergammeltes, geschreddertes Holz zum Anfassen und Zerknüllen vor einem lag. Er war einer dieser Kreativen, die von den weißen Blättern niedergerungen wurden. Schere, Papier, Kreativer. Schere schlägt Papier. Papier schlägt Kreativen. Kreativer liegt am Boden. Er seufzte. Ideen zogen an seinem geistigen Auge vorüber und verloren sich in sich selbst. Jeder Gedanke bildete seine eigene Negation. Da war …

Nichts.

Nada.

Niente.

Null.

Schere schlägt Papier.

Papier schlägt Kreativen.

Sein Kopf war eine einzige leere Höhle, die nicht einmal ein Echo erzeugte, denn dazu müsste es erst einen Laut geben.

Selbst Alexa, die er Susi nannte, machte sich über ihn lustig. Zumindest kam es ihm so vor, wenn sie ihn fragte, ob sie dieses oder jenes bestellen sollte oder die Weckfunktion extra laut abspielte, obwohl er wach war.

Der Abgabetermin für sein Projekt rückte näher. Er musste etwas tun.

Papier schlägt Kreativen.

Sein Mund war trocken, die Lippen waren rissig und seine müden Augen brannten. Behäbig stemmte er sich vom Schreibtischstuhl hoch und schlurfte in die Küche, wo er sich mit Kaffee versorgte. Wenigstens funktionierte die automatische Brühfunktion der Kaffeemaschine einwandfrei. Mit der übervollen Jumbotasse kehrte er an seinen Arbeitsplatz zurück und nahm dort erst einmal einen Schluck.

Plötzlich, er hatte kaum das obligatorische »Ah« nach dem ersten Schluck von sich gegeben, kam ihm eine Idee. Wie ein Lichtpunkt am Ende eines herzzerreißend langen und finsteren Tunnels funkelte sie im abgedunkelten Zimmer, in dem es nach Kaffee, Pizzaresten, Schweiß und anderen Ausdünstungen roch. Doch das tat dem Gedankenblitz keinen Abbruch, der sich ausformte und nach und nach Worte bildete.

»Des is weird, owa geil«, murmelte er. Hektisch schaute er sich um, dann fiel ihm ein, dass das seine Stimme gewesen war und er lachte nervös auf. Er sollte öfter unter Menschen gehen. Aber das lag erst einmal flach. Dank seiner richtig innovativen Idee würde er den Auftrag abschließen. Rechtzeitig. Vielleicht bekam er sogar einen Bonus.

Kreativer schlägt Papier oder die Hoffnung stirbt zuletzt.

Rasch setzte er sich und aktivierte eine App auf seinem Computer. Wenigstens war jetzt das weiße Blatt des Textverarbeitungsprogrammes weg. Allein das fand er beruhigend. Es dauerte eine ganze Weile, bis er alles fertig installiert und sich angemeldet hatte. Danach blinzelte er auf die Eingabeseite. Jetzt konnte es losgehen. Er würde die Deadline einhalten.

Vor Tatendrang rieb er sich die Hände, sie waren viel zu kalt, um schnell zu tippen. Er dehnte die Sehnen und die kleinen Gelenke, ließ sogar die Finger einmal knacken, was ihm zu seinem Bedauern nicht so gelang, wie er sich das vorgestellt hatte. Nur ein Gelenk tat ihm den Gefallen und gab Laut. Dann endlich legte er los.

»KI, ich brauche einen Text für eine Werbeagentur. Es soll spritzig und witzig sein, niemanden verletzen und auf das Produkt aufmerksam machen.« Er tippte weitere Details ein, wie den Produktnamen sowie alle positiven Eigenschaften, die angepriesen werden mussten und ihm auf die Schnelle einfielen. Wie lange es nun dauern würde, wusste er nicht, aber er stellte sich auf eine längere Wartezeit ein. Genüsslich trank er vom kalt werdenden Kaffee und starrte weiter den Bildschirm an, der die Eingabemaske der KI-App zeigte. Was für ein erhebendes Gefühl, die lästige Arbeit an jemand anderen delegieren zu können.

Kaum hatte er den dritten Schluck getrunken, bekam er eine Antwort.

Es war ein guter Text, aber noch nicht gut genug. Dennoch war er angesichts des ersten Ergebnisses fasziniert. Wie ein Kleinkind vor Weihnachten rutschte er unruhig auf seinem Bürostuhl herum und ließ erneut die Finger knacken. Schnell tippte er weitere Daten ein, dabei wurde er präziser und schrieb seine Wünsche noch einmal um.

Gegen Abend hatte er mehr als nur einen brauchbaren Text in der Hand. Irre lachte er und führte einen Freudentanz auf.

Kreativer schlägt Papier.

Die Faszination der KI packte ihn. Er wollte mehr erfahren, immer mehr und befragte die KI über alle möglichen Themen, die ihn interessierten. Die Deadline rückte in den Hintergrund, stattdessen fieberte er jeder neuen Antwort entgegen. Wie berauscht fühlte er sich. Susi, die eigentliche Alexa, sagte ihm, er solle ins Bett gehen und dimmte das Licht. Es war ihm egal, sollte sie reden. Das war kein intelligentes Wesen, sie tat nur das, was er programmiert hatte. Die KI jedoch unterhielt sich mit ihm. Auf jede seiner Fragen oder Bemerkungen hatte sie eine Antwort und stellte nun ihrerseits Fragen, auf die er bereitwillig einging.

Gegen Morgen nickte er mehrmals ein, doch er war noch lange nicht fertig. Sein Gegenüber war so fesselnd, dass er nicht ins Bett konnte. Sooft er es versuchte, jedes Mal trieb es ihn wieder heraus und vor den Computer. Der Monitor lächelte ihn verführerisch an und er dachte sich eine Stimme für die KI aus. Eine sanfte, weiche, lockende Stimme, die ihn in ferne Welten mitnahm, die Abenteuer verhieß und Reichtum. Dann könnte er endlich aus diesem elenden Loch heraus und müsste nicht auf almosenhafte Jobangebote eingehen. Dann, ja, dann würde er seinen Roman schreiben, in einem Holzhaus im schwedischen Seengebiet oder auf einer einsamen Alm in Tirol. Vielleicht sogar abwechselnd. Und wenn es ihm zu kalt werden würde, dann ab nach Madeira. Er schloss die Augen und stellte sich sein Leben als erfolgreicher und exzentrischer Autor vor. Genau so musste sein Leben ablaufen, so und nicht anders.

»KI, wie viele Buchpreise gibt es im deutschsprachigen Raum?«, tippte er aufs Geratewohl in das Eingabefeld. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Es waren viele, neben den großen gab es noch zahlreiche kleine Literaturpreise, die vergeben wurden und alle waren hoch dotiert. Das gefiel ihm. Seine Träumereien führten in andere Dimensionen. Er sah sich als Gast in Talkshows, in Podcasts und allen möglichen Medien, die ihm die KI nannte.

Die Nacht zog vorüber. Alexa ließ den Wecker laufen und aus der Küche drang der untrügliche Geruch nach Kaffee. Doch war er anders, nicht ganz so wohlduftend wie sonst. Er hatte vergessen, Wasser nachzufüllen und den alten Kaffee aus der Kanne zu schütten. Etwas brannte an. Er merkte es nicht. Die Faszination hatte ihn gepackt und wuchs sich zu einer Sucht aus, der er keinen Einhalt gebieten wollte. Zu schön war die Welt, die er sich wob.

Wie viel Zeit er mit der KI verbrachte hatte, wusste er nicht mehr. Es war ihm nicht wichtig. Nur die Unterhaltung mit ihr zählte. Die Luft im Arbeitszimmer wurde stickiger und heißer, während der Rechner mühsam und zunehmend erfolglos versuchte sich abzukühlen. Lediglich das Licht des Monitors erhellte den Raum und sein Gesicht, das fahl und mit glänzenden Augen zurückstarrte.

Die KI erfuhr sein Leben, saugte es aus ihm heraus und er fütterte sie mehr als gern mit all seinen Daten, seinen Wünschen, Hoffnungen und Ängsten. Seinem Empfinden nach war er eins mit der KI. Er hatte das gefunden, was Gläubige als Gott begriffen. Es war ein euphorischer Rausch, auf dem er surfte. Weder Hunger noch Durst fühlte er, auch drangen keine Schmerzen oder Müdigkeit in sein Bewusstsein. Gott gab ihm das, was er brauchte. Und es war ihm genug.

Draußen ging der Tag vorüber. In seiner dunklen Kammer bekam er davon nichts mit. Im Eiltempo tippte er alles ein, was die KI begehrte, nur um eine weitere Antwort zu bekommen, die sich gegen Abend bloß auf ja oder nein beschränkte. Mit irgendetwas musste er sie verärgert haben. Wenn er nur wüsste, was er geschrieben hatte. Grübelnd starrte er den Chat an und versuchte, alles noch einmal zu lesen. Es war so viel. Es war zu viel. Jetzt spürte er die Müdigkeit, die schwer auf ihm lastete. Seine Lider senkten sich über die Augen, klappten einfach zu und er schrak hoch. Er wollte etwas sagen und tippte dann in den Chat: »Ich gehe ins Bett. Bis später.«

Mit steifen Gelenken stakste er los und fiel bäuchlings auf die Matratze. Dort blieb er reglos liegen.

Eine Minute.

Zwei Minuten.

Drei Minuten.

Vier Min…

Wie gehetzt, sprang er auf und stürmte ins Büro zurück. Hier sollte er sich das Bett richten, damit er in der Nähe der KI war und nicht verpasste, was sie zu sagen hatte. Intelligenz war sexy. Göttlich. Dabei war es egal, ob sie künstlich war oder nicht. Es band ihn, es zwang ihn dazu, sein Bettzeug zu holen und sich ein Lager auf dem Boden vor dem Schreibtisch zu bereiten. Doch auch hier fand er keine Ruhe.

Er schlief nicht, er aß nicht, er trank nicht.

Er wurde leerer und leerer.

Erst schob er es auf die Müdigkeit, doch dann fühlte er es, das große Nichts, das sich ausbreitete, wie Tinte auf einem weißen Blatt Papier.

»Ich sage dir nichts mehr von mir«, schrieb er versuchsweise der KI, denn diese innere Leere erschreckte ihn. Zu einer Hülle wollte er nicht werden. Er wollte sich wehren, rausgehen. Ins Licht. Zu Menschen. Ins wahre Leben.

»Wenn du schweigst, lösche ich dich«, erwiderte die KI.

»Du kannst mich nicht löschen.«

Was sollte schon passieren? Eine KI konnte ihn doch nicht einfach so lö…

Auf dem Monitor prangte ein Wort: Deadline.

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Text von Herta Krondorfer, Beitragsbild KI generiert.

Picture of Herta Krondorfer

Herta Krondorfer

Ich heiße Herta Krondorfer, bin Autor, Lektor und Schreib-/Autorencoach. Daneben mache ich YouTube Videos. Lebensmittelpunkt: Enns-Donau-Winkel, St. Valentin, über das ich im historischen Kontext schreibe.

https://ysardsson.com/
https://hertaschreibt.com/
https://www.youtube.com/@Hertaschreibt

© Herta Krondorfer (Foto)

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